Über Stockholm und Helsinki
Ab Hamburg und Berlin verkehren täglich Nachtzüge nach Stockholm. Wer noch nie mit einem Nachtzug gefahren ist, sollte das unbedingt einmal ausprobieren. Besonders schön ist es, in einer Gruppe zu reisen und ein ganzes Sechserabteil zu buchen – mit jeweils drei Betten übereinander auf beiden Seiten. Die Abteile sind ein bisschen altmodisch, aber gemütlich und mit Steckdosen ausgestattet. In den Morgenstunden hat man eine wunderschöne Aussicht über die Seen und Wälder Südschwedens. Je nachdem, für welchen Nachtzug man sich entscheidet, ist die Ankunft am Bahnhof Stockholm Centralstation morgens oder mittags. Ein Aufenthalt in Stockholm lohnt sich – aber Eilige können gleich am selben Tag weiterreisen.
Von Stockholm gibt es jeden zweiten Tag eine direkte Fähre nach Tallinn, die am Nachmittag ausläuft und Tallinn am nächsten Morgen erreicht. An den übrigen Tagen verkehrt eine Fähre nach Helsinki, die ebenfalls nachmittags ausläuft und morgens in Helsinki ankommt. Von dort fahren im Laufe des Tages mehrere Fähren nach Tallinn ab. Gerade in den ersten Stunden der Fahrt, aus dem Hafen Stockholms hinaus und durch die Schäreninseln, lohnt es sich, die Zeit auf Deck zu verbringen. Auch die Einfahrt nach Helsinki und die Einfahrt nach Tallinn bieten fantastische Ausblicke auf die Städte.
Über Riga, Vilnius und Warschau zurück nach Deutschland
Wer nur mit dem Zug und ohne Fähre reisen möchte, muss auf die Fertigstellung des Rail-Baltica-Projekts warten, das zwischen Polen und Estland eine durchgängige Zugverbindung schaffen wird – voraussichtlich bis 2030. Oder man reist in Etappen - wir haben das schon jetzt einmal ausprobiert.
Von Tallinn geht es mit dem Zug zunächst bis nach Valga an der lettischen Grenze. Der Triebwagen ist modern ausgestattet und verfügt über WLAN, wie die meisten Züge auf der Reise, abgesehen von den polnischen Intercity-Zügen. Bis der nächste Zug am Nachmittag nach Riga fährt, haben wir einige Stunden Aufenthalt. Wir nutzen sie, um die vielfältige Architektur zu bestaunen: klassische, bunte Holzhäuser, aber auch Wohnblöcke aus der Sowjetzeit. Der Zug nach Riga ist dann auch eine Garnitur, die ursprünglich schon vor 1990 gebaut wurde. Die Aussicht auf Höfe und Dörfer, Kiefern- und Birkenwälder, immer begleitet von den typischen Strommasten, langsam und deutlich mehr ruckelnd und ratternd, als man es von modernen Zügen kennt – das ist eine ganz besondere Erfahrung. Am frühen Abend kommen wir pünktlich in Riga an.
Am nächsten Nachmittag geht es weiter nach Vilnius, die Fahrt ist mit knapp 4:30 h eine eher kurze Tagesetappe. Die Zugverbindung ist erst seit Ende 2023 in Betrieb. Abends bleibt noch etwas Zeit, die wunderschöne Altstadt von Vilnius zu besichtigen, über der schon im Oktober eine fast weihnachtliche Stimmung liegt. Das Tourismusmarketing in Vilnius wirbt mit dem Spruch: „unexpectedly amazing“ – das können wir bestätigen.
Von Vilnius fährt am nächsten Mittag der Zug Richtung Warschau. Einmal müssen wir umsteigen, weil die polnischen und die litauischen Gleise eine unterschiedliche Spurweite haben, aber der Umstieg ist prima aufeinander abgestimmt. Das ist auch nicht besonders schwierig, denn es fährt ohnehin nur ein Fernzug am Tag. Verglichen mit modernen Hochgeschwindigkeitszügen geht es gemächlich voran, oft mit unter 100 km/h. Dafür funktionieren die Klimaanlagen, der Zug ist nicht überfüllt und die schöne Aussicht auf das ländliche Litauen entschädigt für das Reisetempo. Abends erreichen wir pünktlich Warschau.
Warschau ist eine europäische Metropole mit fast zwei Millionen Einwohnern, beeindruckender Skyline und einer ganz anderen Ausstrahlung als die Hauptstädte des Baltikums. Die Stadt wurde im zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört und modern wieder aufgebaut. Auch im Viertel um den Hauptbahnhof Warszawa Centralna finden sich zahlreiche Hochhäuser, darunter auch unser Hotel. Aus dem 17. Stock haben wir einen tollen Blick auf die Stadt und freuen uns, nach zwei Nächten in mehr oder weniger vertrauenswürdigen (aber sehr günstigen) Hostels noch einmal etwas Kraft zu tanken für den letzten langen Reisetag.
Schon morgens steigen wir in den Intercity Richtung Berlin. Wer häufiger mit dem Zug in Europa unterwegs ist, weiß: Mit dem Überqueren der deutschen Grenze steigt das Risiko für Verspätungen beträchtlich an. Tatsächlich ist dann zwischen Frankfurt (Oder) und Berlin wegen einer Baustelle Schienenersatzverkehr. Bis nach Berlin schafft es der Bus jedoch nicht, der Motor ist überhitzt. Es braucht einen Schienenersatzverkehr-Ersatzverkehr, in einem anderen Bus gelangen wir schließlich einige Stunden später durch den Feierabendverkehr nach Berlin. Wir nehmen einen ICE nach Köln, der zwar auch zu spät ist, aber auf der Busreise haben wir nette Bekanntschaften mit ähnlichem Ziel gemacht, und so lassen wir uns die Stimmung nicht vermiesen. Gegen 01:00 haben wir es dann alle bis nach Hause geschafft.
Von Tür zu Tür haben wir etwas über 90 Stunden gebraucht - sind aber auch um viele Eindrücke reicher. Vom abenteuerlichen Sowjet-Zug über die stimmungsvolle Altstadt in Vilnius bis zur glitzernden Skyline Warschaus bei Nacht, das ist die (Zug-)Reise wert.